Kategorien
Allgemein Sonstige Projekte

Heikes Lesungen

Ich hatte mich jahrelang abgemüht, einen Roman zu schreiben. Etliche Entwürfe verstopften meine Schubladen. Über die ersten 30 Seiten kam ich jedoch nie hinaus.
Dann wurde mir eines Tages schlagartig klar, dass ich das Genre wechseln und Kurzgeschichten schreiben muss.
Das liegt mir. Begebenheiten kurz und knackig, humorvoll oder ernst auf den Punkt zu bringen. Nun hatte ich meine perfekte Ausdrucksmöglichkeit gefunden.
Seit ein paar Jahren gebe ich Lesungen, so bin ich z.B. bei den Nürnberger Mittagslesungen aufgetreten und in verschiedenen Cafés.
Seit Ende 2024 bin ich Mitglied im Autorenverband Die Wortkünstler. Mit den anderen Wortkünstlern bestreite ich nun auch Gemeinschaftslesungen.

https://autorengruppe-wortkuenstler.de/

Ich gebe auch gerne Lesungen mit Gesang (je nach Wunsch Jazz, Blues, Pop, Chanson u.a.)
und stelle gerne themenspezifische Lesungen für sie zusammen.

2 Kurzgeschichten von mir zum Kennenlernen:

Das Gespräch

Es fand zu der Zeit statt, als ich noch im Martha-Café in Nürnberg arbeitete. Als Servicekraft hat man ja ständig mit Menschen zu tun, die reden wollen. Das ist was Schönes. Man tauscht sich aus, lernt einander kennen, erweitert seinen manchmal etwas niedrigen Horizont und in den Sternstunden eines Gespräches erblickt man etwas wie den Urgrund der sich mitteilenden Seele.
   In diesem konkreten Fall war es eine männliche Seele. Sie hatte den ungebändigten Drang, sich mir mitzuteilen. Da im Café nur einige wenige Gäste zugegen waren, hatte ich Zeit, mich ihr zu widmen. Sie – also gemeint ist hier die männliche Seele – erzählte mir von allen möglichen Dingen. Ich kann mich an Einzelheiten beim besten Willen nicht erinnern. Darauf kommt es auch gar nicht an und kam es sogar im Gespräch auch nicht. Denn es wurde keine Antwort von mir erwartet und war wohl auch nicht erwünscht. Ich wollte eine gute Zuhörerin sein und ergab mich meinem Schicksal als soziales Medium. Nach ca. einer halben Stunde wurde ich dann doch langsam unruhig und hoffte auf einen Gast, der meine Dienste beanspruchen würde. Leider Fehlanzeige, alle Gäste waren wohlversorgt. Ich versuchte der Seele durch Körpersprache mitzuteilen, dass mein Geduldakku am Entladen war und wohl schon unter den kritischen 10 % sich befand, allein sie redete frohgemut weiter. Dann endlich kam der erlösende Satz: „Ich muss jetzt weiter.“ Und jetzt kommst, halten sie sich fest. Diese Seele sagte: „Das war doch jetzt ein schönes Gespräch.“ In meiner Verblüffung ließ ich jegliche Diplomatie fahren und es platzte aus mir heraus: „Das war doch aber kein Gespräch. Sie haben die ganze Zeit geredet und ich kam kein einziges Mal zu Wort. Ein Gespräch ist, wenn beide sprechen. So kenne ich das jedenfalls.“ Da schaute mich der Mann überrascht an und sagte: „Wissen sie, sie haben recht. Das kommt daher, dass ich so einsam bin.“

Das Hemd aus Seifhennersdorf (Grenzort in der Oberlausitz)

Es dürfte jetzt wohl an die 35 Jahre auf dem Buckel haben. Mittlerweile ist es das, was man fadenscheinig nennt. Wenn ich das Hemd, wohlgemerkt ein Oberhemd, gegen das Licht halte, scheint dieses an manchen Stellen fast schon ungehemmt hindurch. Das hält mich nicht davon ab, es gern zu haben das Hemd. Im Gegenteil, je zarter der Stoff wird, desto zärtlichere Gefühle entwickle ich für das Hemd. Es hat eine Geschichte und diese Geschichte teilt es ein Stück weit mit mir. Auf dem Stoffschild am Kragen, ich sage hier bewusst nicht Label, da wüsste das Hemd gar nicht, was ich meine, steht VEB Bekleidungswerke Seifhennersdorf. VEB steht für Volkseigener Betrieb. Es ist also ein volkseigenes Hemd. Zu DDR-Zeiten hatte ich immer gehofft, das Volk würde das Hemd nicht von mir einfordern, was es dann glücklicher weise auch nicht getan hat. Dann gab es die DDR nicht mehr und ich wollte schon aufatmen. Doch dann gab es plötzlich wieder Menschen, die durch die Straßen liefen und riefen „Wir sind das Volk“. Ich hoffte nur, dass sich von denen niemand an das volkseigene Hemd erinnerte. Aber da konnte ich wohl beruhigt sein. Diese Menschen konnten sich an so manches aus der deutschen Geschichte nicht mehr erinnern und wenn, dann doch ziemlich verquer.
  Ich merke gerade, ich bin hier etwas vom Thema abgekommen. Es ging um mein Hemd und meine Beziehung zu ihm. Kann man denn heutzutage noch eine Beziehung zu einem Kleidungsstück aufbauen? Kaum hat man es einmal getragen, schon ist es aus der Mode. Beim zweiten Mal tragen, schauen die Kollegen schon hämisch: „Die kann sich wohl nichts Neues leisten? Und die Farbe: grün. Das geht ja gar nicht mehr in dieser Saison. Hat die denn nicht gemerkt, dass pink angesagt ist.“
   Mein Hemd ist übrigens eierschalenfarben. So heißt das wohl im Fachjargon. Würde man das Hemd selbst nach seiner Farbe befragen, würde es mit den Ärmeln zucken und sagen: Natur alles Natur. Wofür ich jetzt meine Hand nicht ins Feuer legen würde. In der Nähe von Bekleidungswerken waren die Flüsse in der DDR schlammfarben bis ölschillernd und hässliche Schaumhäubchen tanzten auf den Wellen. So etwas kann man heutzutage auch noch bewundern. Vor allem in Indien, da sind die Gewässer durch die Textilindustrie teilweise so mit Chemikalien vollgepumpt, dass sie brennen. Seen können brennen. Wer hätte das gedacht?
  Damit das nicht bis in alle Ewigkeit so bleibt mit den brennenden Gewässern und brennenden Textilfabriken, empfehle ich euch, eure Hemden und Hosen und Röcke und Kleider zu lieben. Gebt euch Zeit, dass sich eine Beziehung entwickeln kann und dann wird das Kleid vielleicht eines Tages zu euch sprechen: „Weißt du noch, damals als du mich so stolz trugst. Und er war ganz hingerissen von dir.“